Die internationale Konferenz Einbruch der Dunkelheit in der Volksbühne in Berlin setzte sich mit Theorie und Praxis der Selbstermächtigung in Zeiten digitaler Kontrolle auseinander.
Philosophen, Künstler, Aktivisten diskutierten zwei Tage lang Optionen, Strategien und Techniken der Selbstermächtigung.
Hortensia Völkers, die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes, dem Veranstalter der Konferenz, fragt sich mit Sorge „ob das ungehemmte Anhäufen von Informationen im Internet unsere Freiheit und Autonomie eher gefährdet als fördert.“
Der Philosoph Volker Gerhardt, Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität, verhandelte in seinem jüngsten Buch “ Öffentlichkeit- Die politische Form des Bewusstseins“ den „homo publicus“ und konstatiert in der Konferenz, dass digitale Veränderungen jeden einbezieht: „Keiner kann nur Beobachter sein, sondern ist Täter und Promoter der neuen Realität.“
Digitale Techniken sind seiner Meinung integrativer Bestandteil des menschlichen Lebens. Doch mittlerweile ist das Weltbewusstsein bedroht. Eine Lösung sieht er in der Selbstdisziplinierung jedes Einzelnen. Weiter sollte der Staat durch Petitionen und Demonstrationen gezwungen werden, vorhandene Rechte einzusetzen. Somit setzt Gerhardt auf das Recht und die Ausweitung der Rechtssphäre. Eine weitere Strategie der Individuen sieht er in der Subjektiviertheit im Sinne von „wir können uns unseren Teil denken.“
Der Internet-Aktivist Jacob Appelbaum weist darauf hin, dass Regierungen, die in unserem Namen handeln transparent sein müssen. Bei Nahrungsmittel wollen die Verbraucher auch wissen, ob die Produkte mit Pestiziden behandelt wurden oder nicht. Ein ähnliches Labeling müssten die Staaten über ihre Praktiken den Bürgern offenbaren. Als Internetaktivist, Experte für Computersicherheit und Kenner der Szene weiß er, dass sich viele Menschen über den NSA-Skandal aufregen, jedoch beschränkt sich der Aktivismus derzeit noch auf das Internet. Schlimm findet er die Haltung und Reaktion auf den NSA-Skandal vieler Bürger die folgende Haltung entwickeln: „Ich habe nichts zu verbergen und befürchten.“ Nach dem 9/11-Trauma kann er zwar die Ausrede für den NSA verstehen, dass die Regierung Sicherheit bietet, aber das sei keine Begründung für das Vorgehen der Britten. Seiner Meinung nach gibt es nicht die Aktion, sondern die Lösung besteht aus vielen kleinen Aktionen.
Nach wie vor, so kommen die meisten Experten der Tagung überein, ist die Straße die beste Verbindung zwischen Bewegung und politischem System, deshalb sollte auch diese Bewegung ihren Weg auf die Straße finden und traditionelle Wege beschreiten. Appelbaum entgegnet darauf hin, dass sein soziales Netzwerk nicht auf der Straße existiert. Er findet es viel wirksamer, wenn die Aktivisten den CIA unterwandern und dann ähnlich wie Edward Snowden sensible Dokumente freigeben. Das Internet ist selbst ein politisches Werkzeug, welches effektiv genutzt werden kann. Als Kenner der Szene weiß er, dass Bewegungen wie Anonymus und Occupy noch da sind, nur haben sie momentan andere Formen angenommen und werden wieder sichtbarer werden. Von politischen Parteien hält er nichts, weil sich die neu entstehenden Bewegungen nicht splitten wollen, sonder sich vereinen wollen. Eine gute Möglichkeit aktiv zu werden sieht er darin, Sarah Harrison (Aktivistin bei wikileaks an der Seite von Julian Assange) zu unterstützen. In ihr sieht er die wirkliche Heldin und ihr Bild sollte seiner Meinung an jedem Laptop kleben. Eine weitere gute Möglichkeit sieht er darin, die von ihm entwickelte Verschlüsselungssoftware TOR zu benutzen.
Das Thema der Konferenz beschränkte sich jedoch nicht nur auf den NSA-Skandal, sondern Untertitel der Konferenz hieß ja „Theorie und Praxis der Selbstermächtigung in Zeiten digitaler Kontrolle.“
Und wenn es um die Theorien von Kontrolle geht, darf Foucault mit seiner Theorie der „Microphysik of Power“ nicht fehlen. Diese Form der Macht stellt beispielsweise eine Infrastruktur zur Verfügung und die Individuuen haben selbst die Wahl, wie bei facebook, diese Infrastruktur zu nutzen. Diese Macht wirkt anders, weil die sozialen Kosten für jemanden steigen könnten, wenn er aus dem Netzwerk aussteigt. Diese Macht wirkt subtil und man drängt sich selbst, niemanden zwingt einen.
Ebenso gibt es die Freiheit jederzeit das Internet zu verlassen und es auszuschalten. Jeder ist frei das zu tun, wenn er mit den Konsequenzen leben kann und hier wirkt die Macht.
Diese Unterscheidung zwischen der einen Form von Macht, die mit zwangsmittel operiert, und einer Macht, die mit dem Schein von Freiheit operiert, weil die sozialen Kosten der Entziehung zu hoch sind, geht auf Althusser zurück und wurde von dem Wiener Philosophen Pfaller angeführt und als eine wesentliche Form der digitalen Kontrolle angeführt.
Die digitale Kontrolle nimmt auch im Zuge der individuellen Selbstoptimierung zunehmend Einzug in alle Lebensbereiche. Für alles gibt es eine App und das ist erst der Anfang. Wir messen, ob wir gut geschlafen haben, wie viel Kalorien wir verbrauchen und ob wir guten Sex hatten.
Der Philosoph Pfaller fragt sich jedoch im Falle von facebook und co, warum sind Menschen bereit sich exhibitionistisch zu outen? Was treibt die Leute dazu???
„Etwas ist mit der Öffentlichkeit passiert“ so seine Vermutung. – Menschen haben ein natürliches Bedürfnis in der Öffentlichkeit respektiert zu werden, aber dies findet im öffentlichen Raum immer weniger stand und jetzt wolle die Menschen bekannt werden, auch wenn sie dafür vor laufender Kamera Würmer fressen müssen oder sich in irgendeiner Talkshow mit einem sehr intimen Bekenntnis sich outen müssen, um diesen Ziel vielleicht zu erreichen. Er verweist auf den Soziologen Richard Sennett, der einen Wandel der Öffentlichkeit thematisiert, Früher hat das öffentliche Leben eine Rolle gespielt, heutzutage sind jedoch nur noch private Personen. Das fatale an dem Wandel der Identitätspolitik ist, dass wir es fasst wie eine Befreiung empfinden, wenn wir uns outen.
Individuen werden ständig ermuntert sich dem am anderen gegenüber in seiner Privatheit zu äußern.
Individuen werden ständig ermuntert den anderen in seiner Privatheit zu äußern.
Resümierend wurde in der Abschlussdebatte der Konferenz festgestellt, dass einige Begrifflichkeiten der Konferenz ungeklärt blieben. Zwar hatten die Diskussionen einen hohen Theorieanteil, jedoch könnten daraus wenig Lösungsangebote und keine konstruktiven Handlungsmöglichkeiten für die Praxis abgeleitet werden. Ableitungen aus der Theorie sollten in angemessene Forderungen transformiert werden.