Lohengrin – Oper als Lehrstück über Populismus und Heilsversprechen

Richard Wagners Lohengrin, 1850 in Weimar uraufgeführt, bleibt ein Werk von erschreckender Aktualität. Geschrieben im Schatten der gescheiterten Revolution von 1848, erzählt die Oper nicht nur von einer tragischen Liebesgeschichte, sondern von einer Gesellschaft, die in ihrer Zerrissenheit nach Erlösung schreit – und dabei anfällig wird für Heilsversprechen.

EKasper Holten stellt in seiner Berliner Inszenierung diese Dimension unübersehbar ins Zentrum: Ein verelendetes, orientierungsloses Volk sehnt sich nach einem Führer. Und so erscheint der Schwanenritter nicht nur als mythischer Held, sondern als Projektionsfläche für kollektive Wünsche, für die Hoffnung auf Ordnung, Gerechtigkeit und Rettung. Schon sein Verbot – „Nie sollst du mich befragen“ – markiert ein zentrales Moment politischer Verführung: blinder Glaube an eine Figur, die Antworten verweigert, aber dafür Heilsgewissheit verspricht.

(C)Bettina Stöß

Das erinnert in frappierender Weise an Mechanismen moderner Politik. Auch Donald Trump inszenierte sich in den USA als Retter einer verunsicherten Nation: Er bot einfache Lösungen an, verlangte Loyalität, brandmarkte Kritiker als Feinde – und lebte von der Bereitschaft vieler, nicht kritisch nach Herkunft, Wahrhaftigkeit oder Konsequenzen zu fragen. Wagners Volk von Brabant jubelt dem Schwanenritter zu, wie Trumps Anhänger ihrem Idol folgen: aus Sehnsucht nach einer klaren Führungsfigur in Zeiten der Verunsicherung.

Elsa, die Lohengrin mit den Worten „Mein Retter bist du“ anspricht, steht stellvertretend für diese naive Hoffnung. Doch ihre Zweifel wachsen – und die verbotene Frage nach seiner Identität zerstört den Zauber. Als Lohengrin schließlich sein Geheimnis offenbart – „Mein Vater Parzival, der hütet den Gral“ – endet der Traum abrupt. Die Erlösung, auf die alle gesetzt hatten, zerfällt; das Volk bleibt zurück, enttäuscht und orientierungslos.

(C)Bettina Stöß

Gerade darin liegt die Brisanz dieses Abends: Lohengrin zeigt, wie gefährlich die Projektion von Heilsfantasien auf Einzelne ist. Der „starke Mann“ erscheint als Antwort auf gesellschaftliche Krisen, doch seine Macht gründet auf dem Schweigen, auf dem Unterlassen von Fragen. Wird dieses Schweigen gebrochen, bleibt nichts als Ernüchterung.

Unter der musikalischen Leitung von Marc Albrecht erhielten Wagners Klangmassen eine fast unerträgliche Dringlichkeit – als musikalisches Echo der Sehnsucht nach Größe und Einheit. Attilio Glaser (Lohengrin) und Flurina Stucki (Elsa) trugen die Ambivalenz der Figuren mit vokaler Wucht, doch letztlich ist es die Regie, die den Abend zu einem politischen Kommentar macht.

Holten führt uns vor Augen: Die Versuchung, sich einem „Retter“ anzuvertrauen, ist kein historisches Relikt, sondern eine immer wiederkehrende Gefahr. Wagners romantische Oper wird so zum Lehrstück über Populismus – und erinnert uns, wie dünn die Linie ist zwischen Hoffnung und Verblendung.